gerald bauer

 

YOU'LL BE FINE

 

7. märz - 19. april 2018


galerie im rathaus neusäß

 

Gerald Bauers Einzelausstellung you'll be fine zeigt neue Arbeiten aus Malerei, Druckgrafik und Fotografie der letzten zwei Jahre, schwerpunktmäßig der letzten 12 Monate.

„Fine“? Geht es uns gut? Leben wir nicht in unkalkulierbaren Zeiten des Umbruchs? Ja, das tun wir - aber unkalkulierbar waren die Zeitläufte fast immer, glätten sie sich doch überhaupt erst retrospektiv in den Geschichtsbüchern zu den trügerisch griffigen Epochenbezeichnungen und simplifizierenden konsensualen Zeitrastern, an denen wir uns so gern festhalten. Die ausgestellten Arbeiten liefern der Betrachterin, dem Betrachter deshalb oft Narrative zur eigenen weiteren Ausformulierung, teils aber auch konkrete Problemstellungen, die er/sie annehmen, aber auch ablehnen kann. Was man nicht finden wird: einfache Botschaften oder erhobene Zeigefinger.

Dieses Online-Dossier umfasst kurze Einführungen in die verschiedenen Werkgruppen der Schau. Des Weiteren finden Sie biografische Daten zum Künstler sowie alle wissenswerten Informationen für Ihren Besuch der Ausstellung. Wir freuen uns auf Sie!

 
 
 

die solitäre

 

"Pink Donut", 2018, Acryl 100x240

 


Ein Kernstück der Ausstellung sind die großformatigen Leinwände: mehrere Di- und Triptychen, die jeweils über zwei bis zweieinhalb Meter spannen.

Jede dieser Arbeiten steht für sich allein, verhandelt in einem eigenen Mikrokosmos den Zustand einer Gegenwart, der das lineare, eindimensional scheinende Narrativ des zwanzigsten Jahrhunderts verloren gegangen ist - jene Zeit der statischen Supermächte und der geradlinigen Erwerbsbiographien, die Sicherheit stetigen Aufschwungs und Aufstiegs von einer Generation zur nächsten, der scheinbare Konsens über feste Grenzen nicht nur zwischen den Ländern und Kontinenten, sondern auch den unterschiedlichen Schichten der Weltgemeinschaft, in rührender Naivität einmal als erste, zweite, dritte Welt klassifiziert wie das Siegertreppchen auf einem Dorfsportfest.

Diese Gewissheiten gibt es nicht mehr, und damit verblassen auch liebgewonnene alte Ansprüche auf Deutungshoheit; wenn keiner mehr den Beweis seines Standpunktes zu führen vermag, hat plötzlich jeder recht. Wie in einem alten Monty-Python-Film stehen krude Realitäten und alternative Fakten unvermittelt aneinandergereiht wie skurrile, geifernde Propheten, jeder wähnt sich erleuchtet, und die sozialen Medien verstärken die Kakophonie bis zum mentalen Hörsturz.

Die Gemälde machen sich diese Zerrissenheit zu eigen, ohne sie zu bewerten. Collagenhaft überlagern sich erratische, inkohärente Bildelemente, ergänzen oder widersprechen einander, nehmen aufeinander Bezug oder aber ignorieren ihre Umgebung in dogmatischem Eigensinn. Hart prallen manche Widersprüche auch in Darstellung und Stilistik aufeinander. Man mag sich fragen, wie all das eigentlich zusammengeht, und spürt dann vielleicht den Widerhall eben dieser Frage, die man sich täglich morgens schon beim Blick auf die Welt stellt, und abends schon wieder aufs Neue.

 

 

 
 

congestions

 
 
 

Die Fotoserie congestions untersucht die Auswüchse des urbanen motorisierten Individualverkehrs und seinen Effekt auf Stadtentwicklung. Befragt wird nicht nur der Status Quo selbst, sondern auch die Art unserer Wahrnehmung, die sich über Jahrzehnte der Ideologie einer autogerechten Stadt angepasst hat – einem Denkmodell, das von der Realität längst widerlegt ist und dennoch weiter perpetuiert wird.

Jedes der Bilder zeigt eine innerstädtische Kreuzungssituation, in der die Masse der Fahrzeuge durch Überblendung mehrerer Einzelaufnahmen aus identischer Kameraperspektive künstlich verdichtet wurde. Auch wurden alle Passanten entfernt.

Das daraus resultierende „gefälschte“ Bild entpuppt sich jedoch als wahrhaftigere und präzisere Wiedergabe urbanen Verkehrs, als ein simpler Schnappschuss jemals sein könnte – ein Kondensat dessen, was in unserem automotiven Lebensstil im Argen liegt.

 

Zusätzlich fungiert ein Seitenprojekt als Gegenstück und introvertierter Zwilling des „congestions"-Projektes. Es bildet die selben Locations ab, diesmal jedoch sind alle Fahrzeuge entfernt. Der eigentliche Charakter der Orte wird freigelegt – es sind Flecken urbanen Brachlandes.

Statt Brennpunkte des Quartierslebens sind diese Plätze zu asphaltierten No-Go-Bereichen im Herzen der Stadt geworden. Den Anwohnern wird jede Aneignung verwehrt, ihnen bleibt nur, sich vorsichtig entlang der Fußgängerüberwege um den Platz herum zu bewegen, im Takt der Ampelschaltungen.

 
 

migration und projekt "flucht"

 
 

Ohne Titel, Acryl 100x100,
aus der Serie "Flucht"

 

"Ich zeige hier mehrere Arbeiten aus einer Serie von Malereien mit dem Arbeitstitel Flucht. Es sind großformatige Einzelportraits von Geflüchteten, die allerdings über eine zusätzliche Ebene zustande gekommen sind: Da es mir einerseits wichtig war, mit authentischem Material zu arbeiten, andererseits ich aber der voyeuristischen Ausbeutung von Einzelschicksalen keinen Raum geben wollte, habe ich für jedes einzelne Motiv Originalfotos jeweils mehrerer unterschiedlicher Flüchtender überblendet zu einer neuen, virtuellen und dennoch authentisch begründeten neuen Person."



"Einige Jahre meiner Kindheit verbrachte ich in Asien und Afrika. Den Kindergarten besuchte ich in Tokio. In Sierra Leone an der afrikanischen Westküste lebte ich als Grundschüler Mitte der 70er Jahre und lernte dort eines der ärmsten Länder aus nächster Nähe kennen. Solche Erfahrungen als Kind zu machen, wird dich dauerhaft prägen - auch nach der Rückkehr auf den reichen Heimatkontinent..."



"Interkulturalität war dort Normalität - der Alltag mit Kindern nicht nur aus Sierra Leone, auch aus Indien, dem Libanon, England, Bangla Desh, Norwegen, den USA... Deutsche und Deutsches hingegen gab es kaum. Es wurde Englisch gesprochen, gelesen, gespielt, gedacht und geträumt."

 

"Zurück in Deutschland gelang die Immersion ins Vertraute, Heimatliche zunächst wie selbstverständlich. Erst mit zunehmendem Alter wurde mir bewusst, dass ich etwas mitgebracht hatte, was ich mit niemandem teilen zu können schien. Und nochmals viel später erst begann ich zu verstehen, wie weit diese Erfahrungen bereits meine Persönlichkeit mitgeformt hatten, sich dauerhaft in meine DNA eingeschrieben hatten."

 

"Der ideologische Beton, der dem Diskurs über Migration heute weitgehend die Bewegung raubt, dieser Beton begann spätestens seit den Neunziger Jahren erkennbar abzubinden. Heute sind die Positionen beiderseits der Mitte längst im Beharren auf dogmatisch festgezurrte Maximalpositionen erstarrt, und die Verrohung, die sich über die einstmals sozialen Medien eingestellt hat, nimmt dem Dialog zusätzlich den Atem. Als nativer Deutscher mit eigener Migrationserfahrung gehöre ich einer Minderheit an, die niemand auf dem Schirm hat und deren differenziertes eigenes Erleben von Interkulturalität in den ideologischen Grabenkämpfen keinen Platz hat, da sie zwangsläfig an Dogmata rütteln muss, auch an den wohlmeinenden."

"Oft führt der einzige Weg in die innere Emigration."



 

"Zur Rezeption der ausgestellten Arbeiten möchte ich keine Vorgaben machen. Mein eigener Standpunkt drückt sich in der Neutralität der Darstellung aus, die sich explizit dagegen wehrt, einseitig von unterkomplexen randständigen Denkmodellen vereinnahmt zu werden, sei dies nun kategorische Ausländerfeindlichkeit oder kritiklose Zuwanderungseuphorie.
Für diejenigen, die sich ernsthaft darauf einlassen möchten, habe ich aber einen Vorschlag. Mein Wunsch wäre, der Betrachter möge zunächst seine Beziehung zum dem dargestellten Gegenüber ergründen - um dann versuchsweise eine Gegenposition einzunehmen, an einer anderen Stelle des gesellschaftlichen Koordinatensystems. Wer eine skeptische oder gar ablehnende Haltung mitbringt, könnte versuchen, sein Potential an Empathie gegenüber diesem anderen Menschen freizulegen. Es ist möglich und ein lohnenswerter Versuch.
Umgekehrt müsste ein dezidiert migrationsfreundlicher Betrachter einmal diesem fremden Menschen nachspüren, der unter Umständen Wertesysteme mitbringen wird, die mit den eigenen nur schwer in Einklang zu bringen sind - und der möglicherweise auch ihn selbst, den Betrachter, ablehnen wird, vielleicht wegen dessen unverständlich dekadenten westlichen Lebensstils, vielleicht aufgrund von Religion oder sexueller Orientierung."

 
 

ehrgeiz

 

Ehrgeiz ist ein interessanter Begriff, da er viel über die Motivation des Betreffenden aussagt, aber wenig bis nichts über den mit diesem Antrieb verbundenen Erfolg oder Misserfolg.

Die hochauflösenden Produktionsstrukturen und Verwertungsketten unserer arbeitsteiligen Gesellschaft haben es allerdings mit sich gebracht, dass der Erfolg oft unmittelbar an Statusindikatoren und -symbolen ablesbar ist, nicht jedoch das Ausmaß der zugrunde liegenden Anstrengungen, Mühen und Schmerzen.

Die Holzschnittserie Ehrgeiz rührt an einen archaischen Zustand, in dem dies noch umgekehrt ist: zwar sind die Mühen deutlich ablesbar, sagen jedoch nichts über den Erfolg aus. Die Motive zeigen Kampfsportler nach dem Turnier. Die zerschlagenen, blutenden Gesichter lassen keinen Rückschluss zu, ob wir einen Sieger oder einen Besiegten sehen. Sie sprechen einzig von der Bereitschaft zum unbedingten mentalen und körperlichen Einsatz.

 
 
 

memento mori

 
 

Das Motiv des Memento Mori als mahnende Erinnerung an die Vergänglichkeit des Lebens zieht sich durch die Epochen der bildenden Kunst. Dieses Projekt behandelt das Thema eher diskret in Aufnahmen von Blüh- und Blattpflanzen. Gezeigt werden Auszüge aus einer größeren Fotostrecke.

Das Spektrum reicht von ersten Anzeichen des Dahinwelkens bis zu fortgeschrittener Zersetzung. Insbesondere in den frühen Stadien des Verblühens spielt das Projekt mit der konventionellen Anmutung der Pflanzenfotografie als Domäne des Idealisierten, Dekorativen, manchmal auch Kitschigen – in die sich jedoch als sanfte Irritation erste Zeichen des Verfalls mischen. In anderen Motiven ist der Tod bereits unumkehrbar manifest. Stets jedoch bewahrt die Natur auch im Sterben ihre Würde. Die Fotografie bewertet nicht, sucht lediglich in jedem Motiv die Komposition zu finden, die die Harmonie im Vergänglichen zur Geltung zu bringen vermag.

Der Künstler selbst widmet einen kleinen Teil seiner Zeit der ehrenamtlichen Tätigkeit in einem Augsburger Hospiz. Wenngleich er sich dort überwiegend im Büro aufhält und sich so seines komfortablen Sicherheitsabstands durchaus bewusst ist, hat er doch Woche für Woche Anlass, sich der Thematik des Sterbens zu stellen, letztendlich auch der eigenen Vergänglichkeit.

 
 

80s

 

Die Motive dieser einfarbigen Holzschnittserie beruhen überwiegend auf privaten Fotos aus den Achtziger Jahren. Die Druckplatten wurden nicht nur mit den üblichen Holzmessern bearbeitet, sondern auch mit Drahtbürste und Beil. Hierdurch entstehen, der Monochromie zum Trotz, Schattierungen und Zwischentöne. Zudem unterläuft die Bearbeitung mit dem groben Werkzeug die Präzision der Klingen, die Konturen verlieren an Bedeutung, Unschärfen entstehen. Zufälliges, manchmal auch Ungewolltes, Unerwünschtes ereignet sich - vielleicht eine Aufforderung, das Werk loszulassen und ihm ein Eigenleben einzuräumen.

 
 
 
 

Foto: Frauke Wichmann

 


Gerald Bauer wuchs in Oberbayern, Japan und an der afrikanischen Westküste auf.

Nach Abitur und Zivildienst studierte er Architektur an den Universitäten Kaiserslautern und Darmstadt. Im Hauptstudium belegte er dabei auch Kunstgeschichte mit den Schwerpunkten französische Malerei des 19. Jahrhunderts sowie US-amerikanische Kunst nach 1945.

Neben fast vier Jahrzehnten praktizierter Malerei in Öl und Acryl war er früher auch periodisch als Musiker deutschlandweit auf kleinen und großen Bühnen unterwegs. Daneben war er journalistisch und belletristisch tätig, mehrere seiner Kurzgeschichten wurden in verschiedenen Publikationen veröffentlicht.

Seit den letzten zehn bis fünfzehn Jahren konzentriert er sich vorwiegend auf die bildende Kunst und ist im bayerisch-schwäbischen Raum regelmäßig auf Gruppen- und Einzelausstellungen vertreten.
2013 erhielt er den Kunstförderpreis der Stadt Neusäß.

 
 
 

Besucherinformationen

 
 

Die Ausstellung wird ausgerichtet vom
Kulturkreis Neusäß e.V. in Kooperation
mit der Stadt Neusäß.

Galerie im Rathaus
Hauptstraße 28, 86356 Neusäß

Dauer: 07. März bis 19. April 2018

Öffnungszeiten:
Montag bis Donnerstag: 08:00 - 17:00 Uhr
Freitag: 08:00 - 12:00 Uhr

Der Eintritt ist frei.

Barrierefreier Zugang und Aufzug zum 1. OG

Parkmöglichkeit in der rathauseigenen Tiefgarage.
Alternativ Anfahrt mit ÖPNV,
z.B. von Augsburg Hbf bis Bahnhof Neusäß
(2 Stationen, 7 Minuten)
mit AVV-Ticket im Bahn-Nahverkehr,
vom Bahnhof zu Fuß ca. 3 Min. bis zum Rathaus








 
 

© Gerald Bauer 2018

 

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